„Wenn wir uns nicht kümmern, werden wir Menschen verlieren“

Der pädagogische Gesamtleiter Frank Einwanger erklärt, warum Kinder- und Jugendhilfe heute so wichtig ist

Altötting. Von 1 bis 21 Jahren – von Großtagespflege bis therapeutische Wohngruppe – die Stiftung SLW Altötting hält bayernweit, verteilt auf ihre acht Einrichtungen, ein sehr großes Portfolio an Angeboten aus den Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe bereit. Den sich wandelnden Bedarfen nachkommend, hat sich die Stiftung, mit einem hohen regionalen Bezug, immer auch Nischen gewidmet, Angebote ausgeweitet oder auch reduziert, sich fachlich entwickelt und Neues  versucht.  Im Kern geht es immer um ein umfassendes und passgenaues Angebot für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und ihre Familie, erklärt Frank Einwanger, Stabsstelle Kinder- und Jugendhilfe.

Herr Einwanger, was versteht man unter Kinder- und Jugendhilfe?
Einwanger: Kinder- und Jugendhilfe ist ein Überbegriff für fast alle außerschulischen Betreuungsangebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Die Lebenswelt der Erwachsenen hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten stark verändert. Ein Großteil der Kinder besucht inzwischen eine Kindertagesstätte; auch Betreuungsangebote am Nachmittag für Kinder im Schulalter sind für berufstätige Eltern von großer Bedeutung. Kinder- und Jugendhilfe fasst aber auch den stetig zunehmend großen Bedarf der „Hilfen zur Erziehung“ für Kinder und Jugendliche mit besonderen Förderbedarfen vor allem im sozial-emotionalen Bereich zusammen.

Was sind die Ursachen für den zunehmenden Hilfebedarf?
Einwanger: Ganz allgemein gesprochen sind es gesellschaftliche Veränderungen. Eltern sind stark gefordert, haben materielle Sorgen, sind verunsichert, oft sehr mit sich selbst beschäftigt und gar nicht so selten (psychisch) erkrankt. Gewalt in unterschiedlichen Ausprägungen spielt eine Rolle, sicher auch häufig ein nicht reglementierter Zugang zu Medien. Kinder wachsen in emotionaler „Unsicherheit“ auf. Stabilität, Struktur und verlässliche Erwachsene fehlen.

Was passiert, wenn man die Kinder und Jugendlichen nicht unterstützen würde? Gerade im Hinblick auf die von Ihnen an- gesprochenen sozial-emotionalen Entwicklungsdefizite?
Einwanger: Je früher Kinder und ihre Familien Unterstützung erhalten, um- so höher ist die Chance, entscheidende „Weichen“ zu stellen. Grundsätzlich darf und kann es sich eine Gesellschaft nicht leisten, nicht alles zu versuchen, möglichst vielen Förderbedarfen gerecht zu werden und alles zu versuchen, um ein „Abrutschen“ von Kindern und Jugendlichen zu verhindern. Ohne Unterstützung würden sich wohl viele Biographien ungünstig entwickeln; mit hohen Folgekosten für die Gesellschaft. Wenn wir uns nicht kümmern, werden wir „Menschen verlieren“.

Sie sind seit 35 Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe und seit 17 Jahren bei der Stiftung SLW Altötting – hat sich in dieser Zeit der Hilfebedarf verändert?
Einwanger: Ja, die  Bedarfe  haben  sich verändert. In Summe sind deutlich mehr Kinder und Jugendliche auf Unterstützung angewiesen und immer jüngere Kinder haben einen intensiven Förderbedarf. Sich in sozialen Gruppen angemessen zu verhalten und Strategien zu entwickeln, mit den eigenen Gefühlen konstruktiv umzugehen, sind nur zwei, aber zwei wesentliche Bereiche, in denen Kinder und Jugendliche zunehmend Unterstützung brauchen. Selbst-, Fremd- und Sachaggressionen nehmen zu.

Welche Arten der Kinder- und Jugendhilfe bietet die Stiftung SLW Altötting in ihren Einrichtungen an?
Einwanger: Zusammengenommen gibt es in den acht Einrichtungen der Stiftung SLW Altötting fast nichts aus dem Feld der Kinder- und Jugendhilfe, das nicht abgedeckt ist. Kinderkrippen, Kindergärten, heilpädagogische Tagesstätten für Kinder im Vorschulalter gehören genauso zum Angebotsspektrum wie schulische Förderzentren, differenzierte Nachmittagsbetreuungsangebote für Kinder im Schulalter und ambulante Hilfen zur Erziehung. Die Stiftung bietet Wohngruppen in unterschiedlicher Intensität (von sozial- und heilpädagogisch über therapeutisch bis teilbetreut) für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von 3 bis 21 Jahren an.

Seit 2023 gibt es im Franziskushaus Altötting die Wohngruppe „Krümel“ für Kinder ab drei Jahren. Sie haben das Konzept für diese heilpädagogische Wohngruppe erarbeitet. Wie lautet Ihr Fazit nach einem Jahr?
Einwanger: Die Wohngruppe „Krümel“ war – erschreckend schnell – voll belegt. Fast alle Kinder haben wir aus „Schutz- stellen“ heraus aufgenommen; das heißt, sie wurden von Jugendämtern aufgrund akuter und massiver Kindeswohlgefährdung bereits aus ihren Familien herausgenommen. Nach fast einem Jahr sehen wir riesige Entwicklungsfortschritte bei allen Kindern. Verlässliche Erwachsene bieten Schutz und emotionale Sicherheit. Al- le Kinder besuchen Kindergarten oder Schule, einige sind in Vereinen angebunden und sie werden extern therapeutisch begleitet. Bei allen Kindern, und das ist vielleicht das Wichtigste, ist es aber auch gelungen, im Rahmen von Telefonaten, begleiteten Umgängen oder Besuchen, einen regelmäßigen Kontakt zu Sorgeberechtigten herzustellen und zu halten.

Sie haben selbst lange in Wohngruppen gearbeitet. Was ist das Wichtigste in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Einwanger: Es ist eigentlich ganz einfach: Die Kinder und Jugendlichen brauchen Klarheit und Verlässlichkeit, zugewandte Erwachsene, die mit ihnen in Beziehung gehen, sie „mögen“, ihre Stärken sehen und einen langen Atem haben.

Was geben Sie jungen Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg?
Einwanger: Ein Zitat von Jesper Juul – „Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun“ – also tut etwas – am besten gemeinsam mit den Kindern – seid Vorbild und Orientierung – nur so entsteht Beziehung und sie ist die Basis allen pädagogischen Handelns.

Das Interview führte Monika Pingitzer, Leiterin Stiftungskommunikation

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