Sicherer Hafen für kleine Überlebenskünstler

Heilpädagogische Kleinkindwohngruppe „Krümel“ im Franziskushaus Altötting – ein Jahr nach der Eröffnung

Altötting. Nachdem sie in ihren Familien viel durchmachen mussten, finden drei- bis neunjährige Kinder in der heilpädagogischen Wohngruppe „Krümel“ endlich Geborgenheit und Stabilität. Vor einem Jahr wurde ihr neues Zuhause im Franziskushaus Altötting eröffnet – Zeit für einen Besuch.

Drei Kinder sitzen lachend auf der Couch und kuscheln mit Monika Hölzl. Sie kitzelt die Kleinen und lacht mit ihnen. Der vierjährige Nawal ruft einem Mädchen zu: „Ich rette dich, ich rette dich!“. Ganz so, wie es der Ritter in dem Bilderbuch getan hat, aus dem ihm gerade vorgelesen wurde. Diese fröhliche Szene könnte in jedem beliebigen Wohnzimmer stattfinden, doch sie spielt sich in der Wohngruppe Krümel ab – einem Ort, an dem alle Kinder bereits gerettet werden mussten. Die jungen Schützlinge, die sich jetzt auch mal „verkrümeln“ dürfen, wurden vom Jugendamt aus ihren Familien herausgenommen und in Obhut genommen. In der heilpädagogischen Einrichtung können sie zur Ruhe kommen und wieder Sicherheit erfahren.

Die Wohngruppe Krümel wurde vor einem Jahr nach umfangreichen Umbaumaßnahmen des ehemaligen Jugendwohnheims der Schwestern vom Heiligen Kreuz eröffnet – auf Initiative von Frank Einwanger, dem pädagogischen Leiter des Franziskushauses. „Aus vielfältigen Gründen, die sich unter dem Oberbegriff überforderte Familiensysteme zusammenfassen lassen, wächst der Bedarf an sicheren Plätzen für Kinder, die nicht bei ihren Eltern bleiben können, stetig“, erklärt der Pädagoge. „Wir erhielten immer mehr Anfragen für junge Kinder in Not und haben gemeinsam mit der Regierung von Oberbayern und dem örtlich zuständigen Jugendamt diese – in unserer Region einzigartige – Gruppe aufgebaut.“ Pflegefamilien seien oft nicht in der Lage, die heilpädagogische Betreuung für diese auf unterschiedliche Weise verletzten Kinder zu leisten. „Die Wohngruppe Krümel bietet daher eine große Chance in einem Alter, in dem man noch wichtige Weichen stellen kann“, zeigt sich Einwanger glücklich über das Projekt. „Es hat sich gelohnt, sich für die Kinder einzusetzen – unser großartiges Team hat bereits beeindruckende Lernerfolge erzielt.“

Wie eine Großfamilie mit festen Strukturen

„Momentan leben hier sechs Kinder im Alter von drei bis acht Jahren ähnlich wie in einer Großfamilie“, erzählt Monika Hölzl, die stellvertretende Gruppenleitung. Acht feste Betreuer aus einem multiprofessionellen Team – darunter Erzieher und Sozialpädagogen – sowie zwei Praktikanten kümmern sich liebevoll um die traumatisierten Kinder. Nach einem Jahr gibt es bereits viele positive Entwicklungen: „Wir haben es geschafft, mit Gruppenregeln und bebilderten Wochenplänen eine klare Struktur im Tagesablauf zu schaffen, die den Kindern Sicherheit und eine Konstante gibt“, erklärt Hölzl. Für die Kinder, die viel Schmerz und Unsicherheit erlebt haben, ist so eine Verlässlichkeit das A und O. „Auch der freundliche Umgangston zwischen den Kindern ist ein wichtiger Erfolg, den wir uns hart erarbeitet haben.“

Intensive Beziehungen in der Gruppe

Viele der Betreuten leiden an Aufmerksamkeitsdefiziten, provozieren Konfliktsituationen oder zeigen Aggressionen. „Sie testen permanent ihre Grenzen und wie stark ihr Gegenüber ist, das fordert sehr“, sagt Hölzl. „Heilpädagogisches Geschick, viel Geduld und vor allem das richtige Fingerspitzengefühl sind hier unverzichtbar. Es geht darum, die Kinder auch in ihren schwierigsten Momenten anzunehmen und ihnen zu zeigen: Ich sehe dich als Gesamtmensch mit deinen Gewohnheiten, Ängsten und Traumata. Ich halte dich aus. Du bist mir wichtig.“ Die Betreuer müssen eine hohe Selbstregulation haben, um den Kindern gerecht zu werden. „Und zwar rund um die Uhr“, so Hölzl weiter. „Schließlich ist es anders als im Kindergarten, wo man weiß, dass der Schützling nach einem Tag in eine Familiensicherheit abgegeben wird. Für die Krümel-Kinder gibt es dieses Backup nicht, sodass die Verantwortung und Beziehung zu unseren Kindern schon eine sehr intensive ist.“

Üben, mit Trauer und Wut umzugehen
Während Hölzl über das Leben in der Gruppe erzählt, wechselt die achtjährige Christina an ihrer Zimmertür eine laminierte „Stimmungskarte“ an dem dafür vorgesehenen Klettaufkleber aus. Das Mädchen wählt „krank“ aus den Karten mit zahlreichen verschiedenen Emotionen wie „entspannt“, „ängstlich“, „frustriert“, „wütend“ oder „fröhlich“. Diese Karten helfen den Kindern, sich ihrer Gefühle bewusst zu werden, was eine große Rolle dabei spielt, ihre Emotionen regulieren zu können. „Die Kinder müssen erst einmal lernen, ihre Gefühle zu erkennen und mit ihnen umzugehen, denn sie haben die passenden Strategien nicht gelernt“, erklärt Hölzl. „Wir üben regelmäßig, wie sie mit ihrer Wut oder Trauer zukünftig anders umgehen können. Manchmal brauchen sie einfach eine Umarmung, um wieder in ihre Mitte zu finden.“

Stabilität durch Rituale und Routine
Mit Umarmungen wird in der Wohngruppe Krümel deshalb nicht gespart. Mit den Kindern wird gekuschelt, gespielt und gelacht, und so entsteht eine behütete Umgebung – ein „sicherer Hafen“ für die Kinder, die in ihrem bisherigen Zuhause Überlebenskünstler in vielen Belangen sein mussten. Neben der emotionalen Unterstützung spielt der geregelte Tagesablauf eine große Rolle. Rituale wie das gemeinsame Hausaufgabenmachen, spezielle Zeiten, um Filme zu sehen, oder das Zu-Bett-Bringen, bei dem viel Zeit und Zuwendung aufgebracht wird, sind feste Fixpunkte, die den Kindern Stabilität geben. Auch alltägliche Aufgaben wie das Aufräumen der Wäsche, das Vorbereiten der Brotzeitdosen oder das Aufräumen der Küche gehören dazu und werden von den Betreuern begleitet.

Franziskushaus-Familie bis zum Erwachsenwerden
Ob die Schützlinge irgendwann auch zu ihren Eltern zurückkehren können, liegt mitunter an der Einschätzung des Jugendamtes. So sind die Ziele, die mit den Kindern erreicht werden sollen, sehr individuell und hängen auch von der jeweiligen Situation im Elternhaus ab. Trotzdem ist der Kontakt zu den Eltern ein wichtiger Aspekt. „Die Kinder sollen ihre Wurzeln nicht verlieren“, so Hölzl. „Wir unterstützen den Kontakt zur Familie, denn die Herkunftsfamilie bleibt immer ein Teil ihres Lebens.“ Genau wie ihr neues Zuhause, denn die Struktur des Franziskushauses mit seinen unterschiedlichen Betreuungsformen gewährleistet, dass jedes Kind in der „Franziskushaus-Familie“ bleiben kann – solange es dafür Bedarf hat.     Andrea Obele

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